Jacques Androuet du Cerceau der Ältere (1510/12 – 1584), Architekt, Zeichner, Stecher und Herausgeber wohnte zuerst in Orléans und publizierte als Inhaber eines Graphikateliers in den Jahren 1540 – 1550 seine ersten Werke. Am Ende der 1550er Jahre wohnte und arbeitete er in Paris und schickte sich an, ein äusserst methodisches und herausforderndes Editionsprojekt auf die Beine zu stellen. Im Jahre 1559 publizierte er einen ersten Band Livre d’architecture, dem er 1561 eine Ergänzung beifügte, das Second livre d’architecture. Nachdem er die Ausgabe der Plus excellents bastiments de France (1576 – 1579) zu Ende gebracht hatte, ergänzte er die Reihe der architektonischen Modellbücher mit dem 3. Band der Livres d’architecture.

Die schnelle zahlenmässige Zunahme der Bauten im Laufe des 16. Jahrhunderts fiel nicht nur mit der demographischen Entwicklung und den neuen technischen und materiellen Möglichkeiten der Konstruktion zusammen, sondern auch mit einer veränderten sozialen Struktur und dem Entstehen einer städtischen Kultur. Die Prinzen und Seigneurs sind nicht mehr die Einzigen, die sich um Architektur interessierten. Das Werk von Androuet du Cerceau trägt dieser Entwicklung Rechnung. Es handelt es sich um einen eigentlichen Eigenheimkatalog zum Durchblättern, gestaltet im vorherrschenden ästhetischen Kanon der Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das erste Livre enthält 50, das dritte Livre 38 Wohnmodelle, die meistens mit einer Fassadenansicht und einem Grundriss dargestellt sind. Sie haben den Anspruch für alle Klassen der Gesellschaft und für jegliches Portemonnaie eine Auswahl anzubieten, in der Mehrzahl  jedoch eher für gehobene Ansprüche. Die Modelle sind progressiv eingereiht nach den Kosten ihrer Konstruktion. Die generelle Grösse der Bauten mit ihren mehr oder weniger entwickelten Plänen bestimmt die Abfolge der Radierungen, nicht die Grundflächengrösse der Konstruktion. Das zweite Livre stellt Elemente des Innenausbaus vor, wie Kamine, Türen, Fenster, ideal kombinierbar mit den Häusermodellen des ersten oder dritten Livre. Zusätzlich für die Aussen- oder Gartenanlagen werden verschiedene Typen von Brunnen und Pavillons angeboten und letztendlich ziemlich aussergewöhnlich auch Grabmäler.

Die Texte sind für jedermann verständlich in Französisch geschrieben (ausser den in Latein gehaltenen, zur Wiederverwendung gedachten Radierungen), sie richten sich ohne technologische Details an den Maurer und den (zukünftigen) Eigentümer, beide interessiert, die Kosten der Konstruktion niedrig zu halten.

Der Sinn dieser drei Livres d’architecture als Vorlagenblätter ist eindeutig kommerziell. Androuet du Cerceau wollte sich den boomenden Wohnmarkt als Verleger und als Architekt erkämpfen und den einheimischen Markt von fremden Architekten freihalten. Die Gefahr kam klar von Serlio und dessen Darstellungen von Türen und Cheminées im Quarto Libro, eindeutiger noch das Livre extraordinaire von Lyon 1551, das als Vorlagen- und Verkaufskatalog konzipiert war. Weiter schien Androuet du Cerceau einer Publikation des Manuskriptes des Livre VII von Serlio (1547/54) zuvorkommen wollen, es wurde jedoch zu Lebzeiten Serlio’s nicht gedruckt.

Die Livres d’architecture von Androuet du Cerceau hatten in Frankreich einen grossen Erfolg und befanden zahlreich sich in den guten Bibliotheken der jungen wohlhabenden Bürger des 17. Jahrhunderts.